Bewegen oder sitzen?

Wir Menschen kommen mit einem wunderbar ausgestatteten Körper zur Welt, der uns befähigt, die unterschiedlichsten Bewegungen auszuführen. Wir können gehen, laufen, hüpfen, springen, tanzen, klettern, balancieren, schwimmen, velofahren, skifahren, uns beugen und strecken oder mit Armen und Beinen Bälle aller Art werfen und kicken. Doch die Erfahrung zeigt, dass die meisten Menschen stundenlang und tagelang fast regungslos sitzen: am Bürotisch vor dem Bildschirm, im Auto, Zug und Bus, auf dem Sofa, im Restaurant und auch im Kino und Theater.

Dabei ist sich der sitzende Mensch kaum bewusst, dass mangelnde Bewegung im Alltag heute eine der grössten Gefahren für den Verlust der Vitalität, Gesundheit und Langlebigkeit darstellt.

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen längst, dass eine grosse Palette sogenannter Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Herz-Kreislaufkrankheiten, Diabetes, Schlafstörungen, Arthrose, Rückenschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Allergien, onkologische Krankheiten, mangelnde Stressresistenz, Angststörungen und Depressionen direkt mit mangelnder körperlicher Bewegung zu tun haben. Unser moderner Lebensstil unterscheidet sich grundlegend von früheren Tätigkeiten, die meistens handwerklicher Natur waren und körperlich sehr anstrengend sein konnten.  

Bewegungsmangel und seine Auswirkungen

Alle körperlichen (und natürlich auch geistigen) Funktionen, die nicht ausreichend benutzt werden, verkümmern. Muskeln, die nicht regelmässig gefordert werden, erschlaffen in kürzester Zeit. Gelenke, die nicht bewegt und geschmiert werden, versteifen und schmerzen. Selbst Verdauungsprozesse werden ohne körperliche Bewegungen träge und begünstigen Beschwerden. Auch geistige Trägheit und Depressionen nehmen durch mangelnde körperliche Bewegung zu. Übergewicht resultiert u.a. aus einer schlechten  Energiebilanz, wenn dem Köper mehr Energie zugeführt wird als er verbraucht.

Der erste Schritt

Na dann los – vom Stuhl aufstehen, Sportschuhe schnüren und loslaufen! Wenn dies nur nicht so unbequem und anstrengend wäre! Keine Zeit, keine Lust, zu müde, schlechtes Wetter, keine passende Kleidung, zu streng und/oder ein zwickender Rücken sind nur einige der Ausreden, die zu einem sitzenden Dasein verführen.

Gerade Müdigkeit und Erschöpfung, oftmals gepaart mit Übergewicht, sind vermeintliche Hürden, die uns in der Bewegungslosigkeit verharren lassen.

Hier hilft es, den Verstand einzuschalten, etwas Disziplin zu mobilisieren und mutig den ersten Schritt zu tun! Auch ein attraktives Belohnungssystem kann helfen, alte Gewohnheiten zu durchbrechen. Wer bisher jeder körperlichen Aktivität ausgewichen ist, wird kaum in wenigen Wochen einen Marathonlauf bestreiten, aber er oder sie sollte fortan die Treppe benützen,  bei kurzen Strecken statt des Autos die Laufschuhe schnüren,  den Morgen mit ein paar Yogaübungen beginnen und am Wochenende eine entspannende Velorunde drehen. Es lohnt sich, herauszufinden, welche Aktivitäten Freude bereiten, um so den Einstieg in ein bewegungsreicheres Leben zu erleichtern: Sind es Ballspiele in der Gruppe, Wanderungen zu zweit, Jogging, eine wöchentliche Fitnesseinheit im Studio, Schwimmen im See, Gartenarbeit, Yoga, Minitrampolin springen, Velofahren, Tanzen, Spazieren im Wald etc.? 

Gerade Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – körperlichen Tätigkeiten bisher entzogen haben, werden nach kurzer Zeit erstaunliche Veränderungen bemerken. Sie fühlen sich vitaler, leichter, energievoller, selbstbewusster, fröhlicher und gesünder!

Sport aus Sicht des Ayurveda

Nicht nur die moderne Medizin, auch der Jahrtausende alte Ayurveda betonen die Wichtigkeit regelmässiger Körperübungen und sportlicher Tätigkeiten für eine gute Gesundheit. Wie in jedem Lebensbereich schaut der Ayurveda auch beim Sport genauer und differenzierter hin.

Dr. med. Wolfgang Schachinger formuliert es so: «Sport und Körperübungen werden im Ayurveda als Vyayama bezeichnet. Damit sind kräftigende Handlungen gemeint, die das innere Feuer (Agni) anregen, die Gewebe aufbauen, Kraft, Körperhaltung und Widerstandskraft verbessern, und Körperfett, Müdigkeit und Alterungsprozess reduzieren.»

Durch richtig dosierte Körperübungen wird nicht nur Körperfett, sondern auch Ama abgebaut. Im Gegenzug wird durch Bewegung die «Glückssubstanz» Ojas aufgebaut, die uns laut ayurvedischen Wissens jung und vital hält.

Von der Mundatmung …

Wer sich meistens an oder über der persönlichen Leistungsgrenze bewegt, der keucht mit offenem Mund durch die Gegend und versucht dadurch, den Körper mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Dies ist sowohl bei Hobbysportlern wie auch bei Profisportlern zu beobachten. Doch der Ayurveda sieht in der Mundatmung sehr viele Nachteile. Die Atemwege werden ausgetrocknet, in der kalten Jahreszeit heruntergekühlt und die rasche Ausatmung von CO2 führt zu einer unvorteilhaften Sauerstoffversorgung der Gewebe. Ausserdem ist die Mundatmung gemäss Ayurvedaarzt Dr. med. Wolfgang Schachinger «mit einem stress-typischen Stoffwechsel verbunden, der zu einer Anregung des sympathischen Nervensystems und daher zu einer Herabregulierung der Verdauungskraft und des Immunsystems führt.»

Diese Art Sport zu treiben führt nicht zu Erholung und Regeneration, sondern zu noch mehr Stress, baut die Energiereserven ab und begünstigt Erschöpfungszustände.

… zur Nasenatmung

Wer hingegen während des Sports nur durch die Nase atmet, erfährt viele gesundheitliche Vorteile. Nasenatmung ist laut Dr. med. Schachinger mit einem «Ruhe- und Entspannungsreflex verbunden und steigert die Verdauungskraft und das Immunsystem.»  Ambitionierte Sportler können anfänglich Mühe haben, von der gewohnten Mundatmung auf die Nasenatmung umzusteigen. Doch regelmässige Praxis führt dazu, dass die Atemwege abschwellen und weiter werden, was eine widerstandslosere Sauerstoffversorgung begünstigt. Etwas Geduld hilft, die anfänglich geringere Intensität während des Trainings zu überwinden, um sich anschliessend steigender Kapazitäten zu erfreuen. Auch die überaus wichtige Geist-Körper-Koordination bei sportlicher Betätigung wird durch regelmässige Nasenatmung verstärkt.

Welcher Sport für wen?

Menschen verfügen über äusserst individuelle körperliche Voraussetzungen, welche die Ausführung der einen Sportarten begünstigen und die von anderen wiederum benachteiligen.

Die Einordnung nach den Dosha-Kriterien des Ayurveda hilft bei der Suche nach geeigneten Sportarten.

 

Vata-Typen sind feingliedrige, sensible Wesen, sie mögen Bewegung, besonders in Kombination mit Musik. Im Alltag sind sie immer unterwegs und kommen selten zur Ruhe. Ihr luftiges Temperament und ihre mangelnde Belastbarkeit verlangen nach Sportarten, die nicht allzu herausfordernd sind. Vata-Menschen gefallen beruhigende Yoga-Asanas, Spaziergänge und Wanderungen, leichtes Joggen oder Kraftsport mit geringer Intensität. Und natürlich alle Bewegungsarten, die mit Tanz zu tun haben.

 

Pitta-Typen sind die Sportler schlechthin. Sie sind meist athletisch gebaut und verfügen über Ehrgeiz und einen Sinn für Wettbewerb, besonders wenn sie sich in Gruppen messen. Doch dies kann ihrem feurigen Temperament zum Verhängnis werden. Verbissen verfolgen sie ihre Ziele und bemerken erst zu spät, wenn sie überhitzen und Sport zu einem weiteren Stressfaktor in ihrem Leben wird. Für Pitta-Typen eignen sich Sportarten in kühlender Umgebung: Laufen im Wald, Schwimmen, Rudern, Kraftsport, Wintersport etc. Wenn sie ab und zu alleine trainieren, können sie sich leichter ihren eigenen Bedürfnissen widmen ohne sich mit anderen messen zu müssen.

 

Kapha-Typen mussten oft schon als Kind erleben, dass sie im Sportunterricht immer erst zuletzt in Teams gewählt wurden. Bewegung scheint ihrem ruhigen, bedächtigen Naturell nicht zwingend zu entsprechen. Doch gerade Kapha-Menschen, die zu Körperfülle und geistiger Trägheit neigen, profitieren von regelmässiger Bewegung besonders stark. Bewegung fördert Vitalität und Stärke, bringt Leichtigkeit und Selbstbewusstsein. Für Kapha-Typen eignen sich z.B. kräftigende Übungen, bei denen das eigene Körpergewicht eingesetzt wird (Liegestütze, Kniebeugen), oder Ballsportarten, wo der verborgene Spieltrieb wieder geweckt wird, und auch Velofahren. Da Kapha-Menschen oft gesellig sind, kann sie ein Sportverein mit regelmässigen Trainings dazu inspirieren, mehr für ihre Gesundheit zu tun.

Interessant für geniesserische Kapha-Typen ist die Tatsache, dass regelmässige Bewegungseinheiten den Energie-Grundumsatz des Körpers erhöhen, was das Körpergewicht reduzieren lässt. (Sofern nicht automatisch nach dem Training mit mehr Nahrung kompensiert wird.)

Intensität des Trainings

Aus Sicht des Ayurveda gibt es ein ganz klares Indiz, ob man im gesunden Bereich trainiert oder sich überfordert: Wer während des Trainings nur über die Nase ein- und ausatmen kann, respektiert den eigenen Körper und ist optimal unterwegs. Häufig überschätzen Sportler:innen ihre Fähigkeiten und treiben Raubbau am Körper, was Ojas, die feinste Essenz im Körper, dramatisch reduziert. Oft ist (besonders bei ambitionierten älteren Sportler:innen)  zu beobachten, wie ihr Körper zunehmend ausgezehrt wirkt und sie den Glanz in ihren Augen verloren haben. Daher empfiehlt der Ayurveda der Gesundheit zuliebe regelmässige körperliche Trainings, die immer nur 50 % der persönlichen Leistungskapazität umfassen. Dieses Prinzip lässt die persönliche Leistung kontinuierlich anwachsen, ohne dem Körper Energie und Substanz zu rauben.

Auf einen Blick

  • Bewegungsmangel ist eine der bedeutendsten Ursachen für zahlreiche Krankheiten.
  • Bewegung soll und kann leicht in den Alltag eingebaut werden.
  • Sportarten wählen, die Spass machen und zu einem passen.
  • Eigenheiten und Bedürfnisse der 3 Doshas (Vata, Pitta, Kapha) beachten.
  • Nasenatmung steigert Leistung und Geist-Körper-Koordination.
  • Immer mit maximal 50 % der möglichen Intensität trainieren.